Das Gesetz des Rechten Handelns

Wir befinden uns nun im Zentrum der geistigen Gesetze, denn hier geht es um unser tägliches Handeln und insbesondere um die innere Haltung beim Handeln. Der Yoga-Weg, der sich mit dem Spiritualisieren des täglichen Handelns befasst, ist der Karma-Yoga. Die Disziplin des Karma-Yoga wurde schon vor über zweitausend Jahren in der Bhagavad Gita vom göttlichen Lehrer Krishna an seinen Schüler Arjuna weiter gegeben. Karma Yoga ist der Weg des inneren Freiseins beim täglichen Handeln. Karma Yoga ist der Schlüssel zu Gelassenheit, innerer Ruhe und Freiheit. Wir wollen hier die verschiedenen Aspekte des rechten Handelns betrachten.

 

Erwartungslosigkeit

Die erste und höchste Forderung, die an unser Handeln gestellt wird, ist jene, von unserem Tun keine Früchte zu erwarten. Das erstaunt auf den ersten Blick, denn all unser Tun ist doch darauf gerichtet, bestimmte Ergebnisse zu erzielen (oder negative Folgen zu vermeiden). Weshalb würden wir handeln, wenn nicht der Ergebnisse wegen? Dennoch birgt die Erwartungslosigkeit ein enormes Potential in sich.


Karma Yoga lehrt, dass es eben dieses Anhaften an die Früchte des Tuns ist, das uns unfrei macht. Wir verlangen nach Belohnung, Lob, Freude, Genuss. Dies lenkt unsere Aufmerksamkeit und damit unsere Energie zu einem zukünftigen Ereignis, und wir laufen Gefahr, den gegenwärtigen Augenblick zu „versäumen“. Gleichzeit mögen wir Angst oder Unsicherheit empfinden, dass wir versagen könnten; dann bewegt sich unsere Aufmerksamkeit abermals in die Zukunft, nämlich zu den möglichen negativen Folgen eines Versagens. Die zweifache Gefahr von Gier und Abneigung macht uns unfrei, setzt uns unter einen inneren Zwang.
Die Philosophie des Karma Yoga besagt, wir sollten die Aufgaben um ihrer selbst willen erfüllen, und nicht, weil wir uns einen persönlichen Vorteil davon erwarten. Es geht um das Zurücklassen unseres persönlichen Ich-Denkens. Stelle dir vor, du bist ein hohles Bambusrohr, und die Aufgabe durchfließt dich wie ein Luftzug: Stelle dich für die Aufgabe, für die betreffende Tätigkeit zur Verfügung. Und wenn die Aufgabe erfüllt ist, lasse sie zurück, als wäre sie nie gewesen. So wirst du frei für die nächste Handlung, und dein Tun wird zu einem Spiel, zu einem Tanz, leicht und frei.


„Der Gottergebene, welcher auf die Früchte seiner Werke ver-zichtet hat, erlangt den inneren Frieden. Der Weltmensch, wel-cher durch die Anziehung seiner Begierden an den Früchten seiner Werke hängt, bleibt unfrei, an seine Werke gebunden.“  Bhagavad Gita 3,12

Tun, was zu tun ist

Jeder Mensch tut bestimmte Dinge lieber als andere, das ist ganz natürlich. Das Gesetz des Rechten Handelns jedoch verlangt, dass wir diesen Vorlieben keine Beachtung schenken und einfach tun, was zu tun ist, ob wir nun den Sonnenuntergang genießen, den Kindern bei den Hausaufgaben helfen oder Geschirr spülen. Wir können auf diese Weise sehr gut lernen, innerlich loszulassen und uns für den jeweiligen Augenblick mit seinen Aufgaben, Möglichkeiten und inneren Schönheiten öffnen. Und vielleicht wirst du auch feststellen, dass du an einigen der weniger beliebten Aufgaben Gefallen zu finden beginnst. Versuche es:
 

ANREGUNG
Fertige eine Liste der Dinge an, die an diesem Tag zu tun sind. Achte darauf, dass du auch einige Aufgaben dabei hast, die du sonst gerne vor dir herschiebst. Bringe die Aufgaben auf der Liste in eine Reihenfolge und beginne, diese Liste einfach von oben nach unten durchzuarbeiten. Gehe durch die einzelnen Punkte hindurch, ohne Wertung, und erfülle sie einen nach dem anderen.

Oft werden wir von einer gerade interessanten Tätigkeit weg gerissen. Wir fühlen uns gestört, abgelenkt und begegnen der Ablenkung meist ablehnend. Es mag erforderlich oder klug sein, sich der „Störung“ sofort zu widmen; vielleicht aber ist es besser, mit seiner momentanen Tätigkeit fortzufahren. Unterscheide klar: Soll ich mich dieser oder jener Aufgabe widmen? Was ist jetzt zu tun? Auf jeden Fall birgt jede solche Störung ein wertvolles Potential: Sie ist eine Aufforderung und eine Trainingsmöglichkeit, das „Tun, was zu tun ist“ zu üben. Wir lernen dadurch, das Anhaften an eine bestimmte Tätigkeit zu lösen.

Vollständigkeit

Auch wenn du deinen persönlichen Anspruch an ein Ergebnis deines Tuns innerlich aufgegeben hast, sollte dein Handeln mit höchster Aufmerksamkeit und Hingabe erfolgen. Es wäre ein Fehler, wenn du nun, da du ja nichts erwarten sollst, nur noch halbherzig handeln würdest.


„Wie die Unklugen sich mit Dingen beschäftigen, mit denen sie sich identifizieren; mit dem selben Eifer sollte sich der Weise mit Dingen beschäftigen, ohne jedoch an ihnen persönlich zu hängen.“     
Bhagavad Gita  3,25


Diese Aufforderung verbindet sich mit unserem zweiten Gesetz, der Achtsamkeit. Erst wenn du eine Handlung „nach bestem Wissen und Gewissen“ durchgeführt hast, kannst du sie getrost loslassen.

Ethisches Handeln

Schließlich gilt es, das Handeln in Einklang mit den ethischen Grundregeln zu bringen. In den klassischen Schriften finden wir zwei Quellen, die diese auf wunderbar einfache und erhabene Weise beschreiben:
 
1. Die ethischen Regeln des Patanjali wurden ungefähr im Jahr 150 n. Chr. verfasst und haben bis heute nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt: Nicht verletzen, Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, Kontrolle der Sinne und Gierlosigkeit. Diese Regeln zielen auf ein achtsames, rücksichtsvolles Miteinander; sie bedingen und erzeugen eine psychisch-energetische Reinheit, die mit unserem ersten Gesetz, dem Gesetz der Reinheit, in enger Verbindung steht. Einige der Verbote Patanjalis sind so bedeutsam, dass sie ein eigenes Geistiges Gesetz bilden: Die Forderungen der Gierlosigkeit (5), des Nichtverletzens (7) und der Wahrhaftigkeit (8) gehören zu den grundlegenden „Regeln“ des menschlichen Lebens.

2. Das Rechte Handeln als Teil des edlen achtfachen Pfades des Buddha (563 – 483 v. Chr.) ist bereits über 2500 Jahre alt – und heute so aktuell wie damals. Das rechte Handeln, das sich weitgehend mit den Verboten Patanjalis deckt, besteht nach Buddha aus drei Aspekten:

  1. Rechte Rede: Die Kraft des gesprochenen Wortes, das sehr viel Leid, ebenso viel Gutes bewirken kann, wird hier in mehrfacher Weise kontrolliert: Die rechte Rede soll wahr sein, frei von Zwischenträgerei, sie soll Eintracht fördern sowie frei von rohen Worten und von leerem Geschwätz sein.
  2. Das rechte Handeln ist frei von Töten und Verletzen anderer Wesen, es muss frei sein von Stehlen sowie von geschlechtlichen Verfehlungen.
  3. Rechter Lebenserwerb: Man darf keinen Beruf ausüben, bei dessen Ausübung man gegen die ethischen Lebensregeln verstoßen muss. So darf man beispielsweise nicht auf einem Schlachthof oder in einer Waffenfabrik arbeiten, auch nicht in Berufen, die deren Tätigkeit unterstützen (Schlachtviehtransport, Waffenhandel).


Die bisher besprochenen geistigen Gesetze erzeugen, wenn sie regelmäßig und ausdauernd befolgt werden, die innere Bereitschaft und Reinheit, die uns das Tor zum Rechten Handeln öffnet; sie wirken damit als vorbereitende und hinführende Disziplinen. Das Gesetz des Rechten Handelns birgt enormes Potential für unsere persönliche Entwicklung!

Auszug aus dem Buch "Yoga fürs Leben" von Arjuna P. Nathschläger


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