Die Yoga-Techniken (Teil 1)

Den Ausgangspunkt und das übergeordnete Ziel aller Yoga-Techniken finden wir in Patanjalis Yoga-Sutra 1,13:


„Abhyasa (Übung) ist das ständige Bemühen um Ruhe des Geistes“


Hiermit spricht Patanjali insbesondere die Praxis der Konzentration und Meditation an, die ja im Raja Yoga, als deren Urvater Patanjali gilt, eine zentrale Rolle spielt. Doch verfügt der ganzheitliche Yoga über eine Reihe weiterer Techniken, insbesondere im Bereich des Hatha und des Bhakti Yoga, die wir hier ebenfalls dem Abhyasa zuordnen wollen. Diese Techniken, wie etwa die Asanas, die Reinigungstechniken oder die Mantra-Rezitation, leisten einen wesentlichen Beitrag zum Erreichen des Zieles des Yoga, indem sie die energetische Grundlage für die Meditation bilden und die meditative Übung in ihrer Wirksamkeit unterstützen: Der Pranakörper wird gereinigt, der Geist zentriert und beruhigt.

Die wesentlichen Techniken im ganzheitlichen Yoga sind

 


Wegen der großen Anzahl von Techniken und um etwas genauer auf die verschiedenen Aspekte und Wirkweise der einzelnen Gruppen eingehen zu können, wird dieser Artikel in 2 Teile unterteilt - im ersten werden die ersten 4 Technikengruppen behandelt – diese können wir dem Hatha Yoga zuordnen - , und im zweiten Teil (siehe YogaVision Nr. 26) die Techniken des Bhakti und des Raja Yoga.

Asanas

Zu Patanjalis Zeiten, das war etwa im 2. Jahrhundert unserer Zeitrechnung, verstand man unter Asana die Sitzfläche, auf der der Meditierende saß, und auch die meditative Sitzstellung. Diese definierte Patanjali als


Sthira-sukham asanam (Sutra 2,46)


also als still und fest einerseits (sthiram) und entspannt (sukham) andererseits. Wenn diese beiden Hauptqualitäten auch ursprünglich nur die meditative Sitzstellung kennzeichneten, so lassen sie sich doch auch auf die vielfältigen körperertüchtigenden Asanas anwenden. Diese schaffen ja die Grundlage für die Sitzstellungen, indem sie das Körperbewusstsein vertiefen und damit die meditative Übung auf der körperlichen Ebene vorwegnehmen. Weiters werden durch die Asanas auch die energetischen Grundlagen für die Meditation gelegt, indem sattva gestärkt und rajas und tamas transformiert werden. Insofern schaffen die Asanas die physisch-energetischen Grundlagen für die Meditation, während die vielfältigen physischen Wirkungen auf Kraft, Beweglichkeit, Körperbewusstheit und die vielen gesundheitlichen Wirkpotentiale als ein willkommener Nebeneffekt auftreten.


Die Wirkungen der Asanas lassen sich einigen wenigen grundlegenden Wirkfaktoren zuschreiben: Durch Streckung, Kompression, durch Muskelkontraktion, Umkehrung (gegenüber der Schwerkraft) und Entspannung, alles in Verbindung mit einer vertieften Körperwahrnehmung, werden die vielen positiven Effekte der Asanas hervorgebracht, die alle Ebenen des Menschen berühren und entfalten. So wirken Asanas auf zwei Ebenen: Zum einen haben sie körperertüchtigende und gesundheitswirksame Effekte, zum anderen dienen sie als Vorbereitung auf die Meditation, indem sie das Körperbewusstsein vertiefen und Stille im Geist entstehen lassen.


Die wichtigsten Grundprinzipien einer wirksamen Asana-Praxis umfassen

  • Satya: Achtsamkeit auf den Körper / Kommunikation mit dem Körper: Spüren, was er braucht
  • Ahimsa: Die eigenen Grenzen achten, den Körper nicht überfordern
  • Sthiram: Unbewegtheit und Festigkeit der Stellung; sthiram bedeutet auch, seine innere Kraft sich ausdrücken lassen und in Klarheit und Festigkeit des Körpers umsetzen.
  • Sukham: Hingabe und Öffnung, Weichheit und Sanftheit der Stellung. Der Zauber der Yoga-Asanas entsteht aus dem Wechsel von Anspannung und Entspannung, dem Aufeinander Abstimmen der Grundqualitäten sthiram und sukham
  • Begleitender / unterstützender Rahmen der Yoga-Praxis, in den sich das Asana-Üben einbettet sowie die inneren Qualitäten: Mantra und/oder Gebet zum Einstimmen und Abschließen, Erwartungslosigkeit, Gelassenheit, Stille und Hingabe an das Göttliche.

 

Pranayamas

Die meist als Atemübungen übersetzten Pranayamas sind eigentlich Energie-Übungen (Prana = Lebensenergie), die den Atem als Instrument nutzen. Das eigentliche Ziel der Pranayamas ist es, die Körperenergien zu verändern, zu verfeinern und zu transformieren. Die Pranayamas stellen nach den Asanas die nächste Verfeinerung der Energiearbeit dar, auch sie verfügen über einige wenige Faktoren, die ihre Wirksamkeit hervorbringen: Der Atem wird zumeist verlangsamt und vertieft, in einigen Techniken auch beschleunigt sowie bei fortgeschrittenem Üben länger angehalten. Das Luftanhalten spielt im fortgeschrittenen Hatha-Yoga eine zentrale Rolle, weil hier die eigentliche Transformation des Prana stattfindet. Eine Sonderform bildet die zur Reinigung der Energiebahnen eingesetzte Wechselatmung Nadi Shodhana, bei der wechselweise durch das linke und das rechte Nasenloch geatmet wird.
Je nach der Ebene der Pranayama-Praxis können wir unterschiedliche Bereiche und Formen der Prana-Arbeit unterscheiden:

  1. Die bewusste Atmung im Alltag, bei der auf Atmung durch die Nase, auf Atmung in den Bauch und auf sanfte Verlangsamung des Atemrhythmus geachtet wird;
  2. Die vorbereitenden Pranayamas, die das Atemsystem auf die reinigenden und fortgeschrittenen Atemtechniken vorbereiten,
  3. Die reinigenden Pranayamas, die in den meisten Yoga-Kursen praktiziert werden: Kapalabhati und die Wechselatmung;
  4. Die fortgeschrittenen Pranayamas, die die Energielenktechniken der Bandhas einsetzen und mit zunehmender Intensität geübt werden, sowie
  5. Die meditativen Pranayamas, die mit Körper- /Armbewegungen kombiniert eingesetzt werden können, und die vor allem das innere Erleben der Pranaqualität, des Sich-Verbindens mit der kosmischen Energie und das „Trinken“ des Prana-Nektars einsetzen.

 

Mudras und Bandhas

Diese fortgeschrittenen Techniken, die sowohl separat als auch in Kombination mit Asanas und Pranayamas geübt werden können, setzen die Prana-Arbeit des Hatha Yoga auf der nächst subtileren Ebene fort. Es ist durchaus sinnvoll, diese Techniken erst nach zumindest zwei Jahren Praxis der Asanas und Pranayamas in die Übungspraxis zu integrieren, da sie für ihre Wirksamkeit ein gut entwickeltes Körper- und Atembewusstsein voraussetzen.
Nach Swami Satyananda werden die Bandhas, die fortgeschrittenen Pranayamas ihre große Kraft und Wirksamkeit verleihen, als eine Gruppe von Mudras betrachtet. Es werden die folgenden Mudra-Gruppen definiert:

 

  • Kaya Mudras: Körperstellungen, die den Asanas äußerlich ähnlich sind, die jedoch noch bestimmte Konzentrations- und Pranayama-Elemente in Kombination einsetzen;
  • Hasta Mudras: Hand- und Fingerstellungen, wie etwa die in der Meditation gern eingesetzte Chin Mudra (Bild)
  • Mana Mudras: Diese Mudras beinhalten Drishtis, das sind Veränderungen des Blicks, zum Beispiel das Richten der Augen und der Konzentration auf die Nasenwurzel, sowie Stellungen der Zunge, wie die Jihva Bandha, bei der die Zunge an den Gaumen gelegt wird.
  • Adhara Mudras: Alle Kontraktionen, die im Beckenbereich vorgenommen werden, wie die Ashvini Mudra zählen zu dieser Mudra-Gruppe.
  • Bandhas sind Muskelkontraktionen, die die Energie-Arbeit der Pranayamas unterstützen, insbesondere Jalandhara, Uddiyana und Mula Bandha.

 

Shatkriyas, die Reinigungstechniken

Die systematische Energiearbeit des Hatha-Yoga wird durch sechs (shat) Übungen (kriya = Handlung, Übung) ergänzt, die für eine Reinigung der verschiedenen pranischen Ebenen des Menschen sorgen. Der reinigende Effekt auf der physischen Ebene wie zum Beispiel des Verdauungs- und Ausscheidungssystems durch einzelne Kriyas spiegeln nur eine Ebene der Reinigung wider, die Hauptwirkung findet auf subtileren Ebenen statt. Die Hauptkriyas sind:

  1. Dhauti: Dies ist eine recht umfangreiche Gruppe von Reinigungsübungen, die sich auf den Kopfbereich und den oberen Teil des Verdauungssystem konzentrieren;
  2. Basti: Hier wird der untere Abschnitt des Verdauungssystems bzw. der Ausscheidungstrakt gereinigt (Basti ist die Urform des uns bekannten Einlaufs);
  3. Neti: Die kleine Gruppe der Neti-Übungen reinigt auf physischer Ebene die Nase, auf energetischer Ebene aber das Ajna Chakra;
  4. Tratak: Äußerlich werden hier die Augen beansprucht, aber was durch Tratak wirklich gestärkt wird, ist abermals das Ajna Chakra, was mit der für Tratak erforderlichen Konzentration in engem Zusammenhang steht;
  5. Nauli: Die Rotation der verschiedenen Bauchmuskelstränge wirkt ähnlich wie die kundalini-erweckenden Asanas auf das Energiezentrum des Körpers, Manipura Chakra;
  6. Kapalabhati: Zumeist zu den Pranayamas gezählt, reinigt dieser „Feueratem“ nicht nur das Atemsystem, sondern Ajna und Manipura Chakra, sowie, wie die anderen Reinigungsübungen, die energetische Ebene der drei ayurvedischen Doshas.

 

Was du tun kannst

  1. Strebe in deiner Asana-Praxis stets danach, je nach Asana die inneren Qualitäten des sthiram bzw des sukham zu fühlen und sich ausdrücken zu lassen – so entfaltest du die volle Kraft der Asanas
  2. Mache dir in deiner Hatha-Yoga Praxis den geistigen Hintergrund des Yoga bewusst und halte dir das Ziel des Hatha Yoga, das Still- und Klarwerden des Geistes vor Augen.
  3. Verbinde dein Hatha Yoga Üben mit Elementen der anderen Bereiche des Yoga, wie Bhakti oder Karma Yoga – so wächst die Praxis über die physisch-energetische Dimension hinaus.



Mit diesen vier Technikengruppen – Asana, Pranayama, Mudra/Bandha und Kriya – strebt der Hatha-Yoga jene Stille des Geistes an, die Patanjali als das Tor zum Yoga, als citta-vrtti-nirodha bezeichnet hat. Die weiteren Gruppen von Yoga-Techniken, die wir im zweiten Teil dieses Artikels (siehe YogaVision Nr. 26) betrachten werden, beschreiten andere Wege, haben aber stets das gleiche Ziel vor Augen.

 


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