Asanas und unser Gehirn

 von Eva Hübler, MSc

Die Auswirkungen von Yoga auf unser Gehirn zu benennen ist gar nicht so einfach, wie es vielleicht scheint. Warum?

Weil Yoga einfach so vielfältig ist. Yoga ist Bewegung (Asanas), Yoga ist Meditation (Dhyana), Yoga ist Atem (Pranayama), Yoga ist Ankommen im Hier und Jetzt, Yoga ist Achtsamkeit und Yoga ist noch vieles mehr.

 

Yogas Citta Vritti Nirodah

Patanjali definierte Yoga im Yoga-Sutra als „Zur-Ruhe-Kommen der Aktivitäten des Geistes.“

(yogas citta vritti nirodhah)

 

Das Wort citta wird in der deutschen Sprache meist mit dem Begriff „Geist“ übersetzt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass unser Geist neben dem Verstand und der Vernunft, all unsere Empfindungen und unsere Gefühle umfasst.

 

Um den Umfang dieses Artikels nicht zu sprengen, beschränken wir uns auf einen Aspekt von Yoga – nämlich auf Asanas.

 

Das Hand-Hirn-Modell

Bevor wir die Auswirkungen der Asanas auf unseren Geist und das Organ, das hinter unserem Geist steckt – nämlich unser Gehirn – genauer betrachten, ist es von Vorteil, einen kurzen Überblick

über das Gehirn zu erlangen.

Hierfür ist das Hand-Hirn-Modell hilfreich, welches von Daniel Siegel, Neurowissenschaftler und Professor für Psychiatrie, entwickelt wurde:

 

 

 

In unserer Großhirnrinde (Cortex) befinden sich die meisten Nervenzellen (Neuronen). Der vordere Bereich der Großhirnrinde wird Präfrontaler Cortex genannt – das ist der Sitz der Exekutivfunktionen.

Diese Exekutivfunktionen sind alle höheren geistigen Funktionen, welche komplexe Handlungsplanungen steuern, wie beispielsweise Zielsetzung, Emotionsregulation, Impulskontrolle, Selbstregulierung, Reflexion, Entscheidungsfindung usw.


Das limbische System ist ein tieferliegendes Areal im Gehirn. So wie bei einer Faust der Daumen von den Fingern umschlossen ist, ist das limbische System ummantelt von der Großhirnrinde – im Sagittalschnitt ist die Region jedoch gut zu erkennen.

Das limbische System ist unsere Gefühlszentrale, denn Emotionen werden von dort gesteuert. Doch nicht nur das: das limbische System spielt auch bei Belohnung eine große Rolle, dient als Filter von Informationen, als Neuigkeitsdetektor und ist wesentlich für das Gedächtnis.

 

Der Stressor ist kein Raubtier mehr

Wenn wir Stress erleben, dann werden Hormone wie Cortisol, Noradrenalin, Dopamin und viele mehr ausgeschüttet.

 

Diese natürliche Stressantwort des sogenannten sympathischen Systems führt dazu, dass die Atmung schneller wird, der Herzschlag zunimmt, die Muskelkraft, Wachsamkeit und das Reaktionsvermögen erhöht werden.

 

Gleichzeitig wird die Verdauung gedrosselt, das Abwägen von Entscheidungen fällt schwer, die Emotionen schäumen über etc. Die Reaktion in unserem Körper ist gleich wie vor tausenden Jahren und wir werden auf Kampf oder Flucht vorbereitet.

 

Der Stressor ist aber heutzutage kein gefährliches Raubtier mehr. Diese Gefahr ist absehbar und unser Organismus hätte heute, wie damals, nach dem Kampf oder der Flucht Zeit zur Regeneration.

 

Meist sind Stressreize unserer Zeit langanhaltend wie ständiger Termindruck, Multitasking und hohe Anforderungen des alltäglichen Lebens.

 

Wir verspüren eine Art Nebel über unserem Präfrontalen Cortex und die Exekutivfunktionen werden gedrosselt, das limbische System und der Hirnstamm arbeiten auf Hochtouren.

 

Folgen können emotionale Reaktionen, Probleme beim Abrufen oder Speichern von Informationen, verminderte Selbstkontrolle und natürlich körperliche Reaktionen wie Verdauungsprobleme und Bluthochdruck sein.

 

Was hat das alles mit Yoga zu tun?

Yoga hilft uns, den Gegenspieler des Sympathikus, nämlich den Parasympathikus, zu aktivieren. So zeigt eine Übersichtsarbeit um die Forscherin Emmanuelle Rivest-Gadbois, dass Yoga die parasympathische Aktivität erhöht. Die Studie hat außerdem festgestellt, dass die Selbstregulation gefördert wird, ebenso die Lerngeschwindigkeit.


Vor allem Asanas, welche die Ausatmung fördern, aktivieren den Parasympathikus und entspannen unser System. Das sind beispielsweise alle Vorbeugen und viele Umkehrhaltungen wie der gestützte Schulterstand. Generell unterstützen Asanas den Parasympathikus, die uns beruhigen und uns in unserem Körper ankommen lassen wie zum Beispiel ruhige Sonnengrüße oder die Kindhaltung.

 

Die Antwort des parasympathischen Systems hilft unserem Körper sich vom Stress zu erholen. Die Verdauung wird wieder aktiviert, wir können klarer denken und kommen wieder in Einklang mit unseren Emotionen.

Außerdem regen Asanas die Produktion des Stoffs BDNF (brain-derived neurotrophic factor oder neuronaler Wachstumsfaktor) an. Durch die Bewegung in den Muskeln wird ein Protein namens IGF-1 produziert. Über die Blutbahn gelangt dieses ins Gehirn und erteilt dort den Befehl den Wachstumsfaktor BDNF zu produzieren. John Ratey, Professor für Psychiatrie, beschreibt BDNF als Stoff, der „Neuronen wie Dünger nährt“. BDNF fördert die Bildung der Axone – ein Axon ist ein Teil der Nervenzelle, welcher Nervenimpulse weiterleitet. BDNF begünstigt das Wachstum von neuen Nervenzellen und schützt gegen den natürlichen Zelltod. Insgesamt verbessert dies die Geschwindigkeit und Effizienz der Denkleistung.

Neha P. Gothe beschäftigte sich in einer Übersichtsstudie mit den strukturellen und funktionellen Veränderungen des Gehirns bei langjährig, regelmäßig Yogapraktizierenden.

Die Ergebnisse zeigen, dass es einen Zusammenhang zwischen einer langfristigen Yogapraxis und einer Veränderung in jenen Hirnarealen gibt, die mit den Exekutivfunktionen und insbesondere dem Arbeitsgedächtnis in Zusammenhang stehen. Ob dabei der BDNF-Spiegel eine Rolle spielt, wird allerdings nicht erwähnt.

 

Klar ist aber, dass vor allem regelmäßige, wiederholte Bewegung unser Gehirn sichtbar verändert. In diesem Zusammenhang sagt der Psychologe Ulrich Ott in einem Artikel der Zeitschrift Spektrum, sehr passend: „Egal ob traditionelles Hatha, Vinyasa mit Techno-Beats oder schwitzendes Bikram – sie alle verändern unser Gehirn.“

Also, worauf wartest du noch? Roll deine Matte aus, praktiziere Vorbeugen, Umkehrhaltungen, einen ruhigen Sonnengruß oder sonstige Asanas, und nimm so Einfluss auf deinen Körper und dein Gehirn!

 

Autorin

Eva Hübler ist ausgebildete Hatha Yogalehrerin und hat einen Master in “Neurowissenschaften und Bildung”. Eva sieht sich als Übersetzerin der Neurowissenschaften. Sie bietet aktuelle Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse verständlich dar und versucht gemeinsam mit Klient:innen einen Weg zu kreieren, dieses Wissen praktisch anzuwenden.

Sie verknüpft ihre Leidenschaft für Neurowissenschaften und traditionelle Lehren wie Yoga, Astrologie, Ayurveda und Co. und versucht so eine Brücke zwischen den beiden Welten zu bauen. Sie ist potentialfokussierter Coach und Human Design Coach und als Trainerin und Workshopleiterin zu Themen rund um Neurowissenschaften, Konfliktlösung und Growth Mindset tätig.


www.evahuebler.com

 

Dr. Peter Poeckh - Yoga-Akademie Austria

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